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Abstract
Einleitung
Was fällt alles unter ‚Biopatent‘?
ordre public und seien deshalb nicht patentierbar, beziehen sich nur auf nicht ohne menschliches Zutun in der Natur vorkommende Lebewesen. In beiden Fällen gehört die wissenschaftliche Tätigkeit, die die patentierbare Sache generiert, den Biowissenschaften an. Dennoch gilt es zu differenzieren, welche Art wissenschaftlicher Tätigkeit zu den jeweiligen Ergebnissen geführt hat. Werden bereits in der Natur vorkommende Organismen erforscht, so agieren Biowissenschaftler in anderer Weise, als sie dies bei der Konzeption neuer Lebensformen oder organischer Strukturen tun.
Was bedeutet ‚ethische Problemfelder von Biopatenten‘?
Im Mittelpunkt stehen hier Probleme, die sich erst durch die Patentierung der fraglichen Sache ergeben. Während oft davon ausgegangen wird, dass die Patentierung einer Sache dieser einen besonderen Schutzstatus einräumt und dadurch eine entsprechende Akzeptanz dieser Sache ausdrückt, ist auch die Gegenposition denk-bar, der zufolge das Patentrecht als Instrument verwendet werden kann, um bestimmte Erfindungen durch Lizenz- oder Genehmigungsverweigerung aus dem öffentlichen Verkehr zu ziehen. Darüber hinaus muss aber auch mit Problemen der Biopatentierung gerechnet werden, die nicht auf die Patentierung einzelner Sachen, sondern auf die Patentpraxis allgemein zurückzuführen sind. Sie bilden den dritten Themenkomplex der ethischen Analyse. Bevor die ethischen Problemfelder aufgerollt werden, sollen hier einige vor-bereitende Differenzierungen etabliert werden.
Differenzierungen: Eigentum, Patente, Genehmigungen, Lizenzen
1 Für Diskussionen anderer Einwände gegen Biopatente vgl. insbesondere RIPPE 2003. 2 Vgl HANSON 2002, 170 ff.; BROM 2003. 3 Im deutschen Recht: § 903 BGB.
Die mit einem Patent einhergehenden Rechte sind gerade nicht dieselben wie Eigentumsrechte. Eine Person, die ein Patent auf eine Tierspezies hat, verfügt deshalb nicht über das Recht, Mitglieder dieser Spezies zu produzieren oder zu verkaufen oder anderweitig zu verwerten, solange sie nicht auch eine Genehmigung hierfür erhält. Allerdings erlöschen nicht alle Rechte des Patentinhabers an Tieren oder Pflanzen mit dem Verkauf eines oder mehrerer Exemplare. Vielmehr behält er das Recht, die Reproduktion dieser Organismen zu verbieten, wenn nicht „die generative oder vegetative Vermehrung notwendigerweise das Ergebnis der Verwendung ist, für die das biologische Material in Verkehr gebracht wurde“.
Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, in: ABl L 213/13(30. Juli 1998), § 10
Patente und Genehmigungen gilt es ebenso auseinanderzuhalten wie Eigentum und Patente. Staatliche Genehmigungen erlauben Personen, Individuen eines Typs kommerziell zu nutzen, d.h. zu produzieren, zu verkaufen, zu vermieten etc. Welche Rechte genau durch eine Genehmigung unter welchen Bedingungen eingeräumt werden, hängt vom patentierten Gegenstand ab, denn Genehmigungen werden durch die je bereichsspezifischen Gesetze geregelt (beispielsweise das Arzneimittelgesetz oder das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetz). Es ist also durchaus denkbar, dass eine Person zwar das Patent auf ein Produkt oder Ver-fahren erhält, damit berechtigt ist, andere von der kommerziellen Nutzung desselben auszuschließen, aber selbst kein Recht erhält, das fragliche Produkt auch nur zu produzieren, geschweige denn zu vermarkten. Zuletzt gilt es noch, Lizenzen abzugrenzen. Lizenzen sind Nutzungserlaubnisse, die ein Patentinhaber einem Vertragspartner einräumt. Dies kann im Rahmen privatrechtlicher Verträge gegen zahlreiche Formen von Gegenleistungen, exklusiv oder nicht-exklusiv, geschehen. Eine besonders im Rahmen biotechnologischer Forschung beliebte Gegenleistungsforderung sind die sogenannten Reach-through-Rechte, die im Weiteren diskutiert werden.
Die Rechtfertigung von Patenten
Die Patentrechte unterschiedlicher Rechtstraditionen unterscheiden sich nicht nur in Details der Schutzrechte und schützbaren Sachen, sondern auch in der Rechtfertigung dafür, überhaupt Patente zu gewähren.
Zu den klassischen Patenttheorien vgl. GODTÂ 2007, 515 ff.
Rechtliche Dokumente lehnen sich beispielsweise an die sogenannte Eigentumstheorie (auch Naturrechtstheorie) an, die weitgehend auf der Idee des Schutzes geistigen Eigentums basiert. So heißt es in der Präambel der Pariser Übereinkunft, die Unterzeichnerstaaten seien „von dem Wunsche beseelt, die Rechte des gewerblichen Eigentums möglichst wirksam und einheitlich zu schützen“.
Pariser Übereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums , revidiert in Lissabon am31. Oktober 1958, Präambel.
United States Constitution, Art. 1 Sect. 8
BERKENFELD 1949.
United States Circuit Court for the District of Massachusetts (1817):Â Bedford vs. Hunt, 3 FCas 37.
Convention on the Grant of European Patents (European Patent Convention, EPC), Art. 52 (1)
United States Code Title 35 – Patents  Sec. 101-103.
„European patents shall not be granted in respect of:(a) inventions the publication or exploitation of which would be contrary to‘ordre public’ or morality, provided that the exploitation shall not be deemed tobe so contrary merely because it is prohibited by law or regulation in some or allof the Contracting States;(b) plant or animal varieties or essentially biological processes for the productionof plants or animals; this provision does not apply to microbiological processesor the products thereof.“ (Art. 53 EPC)
Biopatente unterliegen zudem der Europäischen Biopatentrichtlinie, mit der die Europäische Union Vorgaben zur bereichsspezifischen Harmonisierung erlassen hat. Die einschlägigsten Art. 3 bis 7 dieser inhaltlich engeren Regelung klären detailliert, worauf Patente möglich sind. Dort werden von der Patentierung ausgenommen: Pflanzensorten und Tierrassen, im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren, Erfindungen, deren Ausführung technisch auf eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt ist (Art. 4), der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens (Art. 5), Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn eines menschlichen Lebewesens, die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken, Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere (Art. 6).In den meisten Staaten Europas gilt zudem ein Forschungsprivileg, dem zufolge die Nutzung patentierter Erfindungen zu Forschungszwecken nicht unter den Patentschutz fällt.
Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (Biopatentrichtlinie) , in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 213/13 (30. Juli 1998).
Die European Patent Convention (EPC) lässt nationale Regeln wie das Forschungsprivileg in Art. 64 explizit zu. Bis auf Österreich haben alle europäischen Staaten ein Forschungsprivileg nach dem Vorbild des  Agreement relating toÂCommunity patentsÂin ihr Patentrecht übernommen, dem zufolge der Patentschutz nicht verletzt wird durch „acts done for experimental purposes relating to the subject-matter of the patented invention“.
Agreement relating to Community patents, done at Luxembourg on 15 December 1989(89/695/EEC), Official Journal L 401, Art. 27b.
Vgl. §11 Abs. 2 Patentgesetz (PatG); vgl. auch GODT 2007, 127 und 191 f. Laut deutschem Patentgesetz (PatG) sind auch Forschungstätigkeiten, die sowohl privat wienicht-kommerziell geschehen, von der Patentwirkung ausgenommen (§11 Abs. 1 PatG).Daraus folgt aber nicht, dass patentierte Forschungsmittel privaten Forschern jenseits von Lizenzen zur Verfügung gestellt werden müssen.
 In den USA gilt ein sehr enges Forschungsprivileg, welches gemäß Amendment 11 der Verfassung lediglich staatlichen Universitäten Immunität vor Patent- verletzungsklagen einräumt. Nicht-staatliche Universitäten genießen gemäß der Entscheidung im Fall Madey vs. Duke University kein Forschungsprivileg.
United States Court of Appeals for the Federal Circuit (2002):  Madey vs. Duke University ,307 F.3d 1351.
Agreement relating to Community patents  ist außerhalb Europas nicht verbreitet. Ihm zufolge gelten auch weder „the extemporaneous preparation for individual cases in a pharmacy of a medicine in accordance with a medical prescription nor acts concerning the medi-cine so prepared“ als Patentverletzung.Art. 27b Agreement relating to Community patentsÂ
Im Gegensatz zu Europa kennen die USA eine Schutzfrist, binnen derer nach Veröffentlichung ein Patentantrag eingereicht sein muss. Damit ist die wissenschaftliche Veröffentlichung dort nicht in demselben Maße neuheitszerstörend, wie sie es in Europa ist. Als letzte wichtige Differenz ist festzuhalten, dass das Einspruchsrecht gegen Patente in den USA nur bei Personen liegt, deren Interessen durch das jeweilige Patent geschädigt sind. In Europa hingegen kann ein Patent von jedermann angefochten werden, sofern das Patent nach European Patent Convention (EPC)
angemeldet wurde. Ein erfolgreicher Einspruch in den USA erlaubt einer Person, die die jeweilige Erfindung früher gemacht hat, das Patent zu übernehmen, in Europa werden die betroffenen Teile des Patents damit hinfällig.
Instrumente erzielbar, aber dennoch Interessen von gesellschaftlichen Gruppen, die verlangen, in der Vergabestruktur von Patenten berücksichtigt zu werden. Die gleichberechtigte Verwendung deontologischer bzw. autonomieethischer und konsequentialistischer Positionen begründet sich aus der je unterschiedlichen Stoßrichtung dieser beiden Ethikmodelle. Gerade weil diese für verschiedene Aspekte moralisch relevanter Phänomene sensibel sind, kann nur davon profitiert werden, beide heranzuziehen. Neben diesen allgemeinethischen Modellen wird auf Theorien aus der Wohlfahrtsökonomie
Vgl. NELSON 1959; ARROW 1962. Eine Diskussion der Ansätze findet sich auch in EISENBERG, 2006.
sowie Theorien aus der politischen Philosophie, insbesondere auf Theorien der Verteilungsgerechtigkeit zurückgegriffen. Der wohlfahrtsökonomische Theorieansatz geht auf die Arbeiten von Arrow und Nelson zurück. Diese beschäftigen sich primär mit der Ressourcenallokation zugunsten von Forschung. Demnach tendieren Privatinvestoren dazu, unterhalb des Niveaus maximalen kollektiven Nutzens in Forschung zu investieren. Ein zentraler Grund hierfür sei die mangelnde Möglichkeit, Forschungsergebnisse, gerade der Grundlagenforschung, in private Verfügung zu überführen. Patente können als ein Mittel angesehen werden, diesen Mangel abzustellen. Allerdings resultiert die Überführung von Forschungsergebnissen in Privatverfügung darin, dass diese Ergebnisse suboptimal genutzt werden und damit weiterer kollektiver Nutzen nicht realisiert wird. Während Nelson und Arrow die Allokation zugunsten von Forschung als lediglich durch öffentliche Investition effektiv zu bewerkstelligen ansahen, ist der gegenwärtige politische Trend, den benötigten Ressourcenfluss durch die Ausweitung des Gegenstandsbereichs von geistigen Eigentumsrechten zu befördern. Die Theorie Arrows und Nelsons wird insbesondere in Fragen der Wissenschaftsethik relevant, die thematisieren, wie sich die Biopatentierung auf die Wissenschaftspraxisauswirkt.
Ethische Diskussion: Wissenschaftsethische Belange
Interpretiert man Wissenschaft als soziale Praxis, die sich über ihre Ziele und ziel-inhärenten Normen bestimmt, kann man gut aufzeigen, welchen Einfluss patent-rechtliche Regelungen auf die einschlägigen Wissenschaften gewinnen können.
Zum Begriff einer Praxis vgl. MACINTYRE 1995, 251 f., zu den zielinhärenten Normen ibid., 247
Wird eine soziale Praxis durch ihre Ziele – im Falle der Wissenschaft primär die Gewinnung von Wissen über den jeweiligen Themenbereich – und die zielinhärenten Normen und Mittel bestimmt, so wird eine Veränderung der Ziele auch die Gesamtpraxis verändern. Die Unterschiede, welche durch Ziele und Praxisnormengeneriert werden, lassen sich mit Blick auf unterschiedliche Wissenschaften gut verdeutlichen. Während Teile der modernen Physik und Mathematik sich neben dem Wissensgewinn auch einigen ästhetischen Normen wie Symmetrie, Einfachheit, mathematische Eleganz verschreiben, werden weite Bereiche der Ingenieurswissenschaften von instrumentellen und ökonomischen Zielen mitbestimmt. Entsprechend unterschiedlich sind die Publikations- und Kooperationsgepflogenheiten in diesen Disziplinen. Die Rahmenbedingungen einer wissenschaftlichen Disziplin hängen unter anderem von dem ökonomischen Potential des darin generierten Wissens ab. Patentierbarkeit wiederum macht in der Frage ökonomischen Potentials einen erheblichen Unterschied. Gemäß der oben kurz diskutierten ökonomischen Theorie ermöglicht die Einführung von exklusiven Rechten an Wissen, dieses in die private Verfügung zu überführen. Mit dem Transfer in Privatverfügung wird die Produktion und Verwertung von Wissen marktförmig organisierbar, so erlauben exklusive Verwertungs-rechte gewinnträchtige Vermarktung und motivieren private Investitionen in die Wissensproduktion. Die Biowissenschaften wurden und werden somit durch die Patentierbarkeit von Ergebnissen ihrer Grundlagenforschung einer erheblichen Veränderung unterzogen, die ihnen Ähnlichkeit eher mit den Ingenieurswissenschaften als mit der Physik verleiht. Als ein Anzeichen für diese Veränderung können gerade auch neue Disziplinnamen wie ‚Bioengineering‘ gedeutet werden. Die folgenden Erwägungen beleuchten die Art und die Konsequenzen dieser Veränderungen, besonderes Augenmerk liegt dabei auf möglicherweise resultierenden Ineffizienzen und Versagen der verflochtenen wissenschaftlichen und marktförmigen Kooperations- und Austauschstrukturen.
Ökonomisierung
Einem eher kulturkritischen Bedenken nach greifen ökonomische Strukturen in Gesellschaftsbereiche über, für die diese nicht geeignet seien. So werde eine Handlungs- und Gratifikationsregel für industrielle Märkte auf die wissenschaftliche Praxis ausgedehnt. Die Regel berechtigt den Produzenten einer Sache dazu, diese exklusiv am Markt zu verwerten. Diese Regel wird in der wissenschaftlichen Praxisdahingehend adaptiert, der Produzent von Wissen sei berechtigt, dieses exklusiv am Markt zu verwerten. Ein augenfälliger Unterschied zwischen den Geltungsbereichen dieser beiden Regeln besteht darin, dass Wissen anders als ein Produkt keiner inhärenten Benutzungsbeschränkung unterliegt. Dieser Umstand lässt sich in den Begriffen der Wohlfahrtsökonomie so fassen: Die Grenzkosten der Nutzung bestehenden Wissens sind null, die Grenzkosten der Nutzung eines existierenden Produkts sind durch den Nutzungsausschluss anderer Personen gegeben. Ein Produkt kann zugleich nur durch eine bestimmte Zahl von Personen verwendet werden, eine Idee durch beliebig viele. Daraus folgt, dass, wer ein Produkt gegen den Willen des Produzenten benutzt, diesen der Nutzungsmöglichkeit desselben beraubt. Seine Idee gegen den Willen des Wissensproduzenten zu nutzen, bedeutet lediglich, ihn der Möglichkeit zu berauben, diese Idee allein wirtschaftlich zu verwerten. Diese Verletzungen, wenn Letzteres denn eine ist, treffen unterschiedliche Rechte. Das Recht der Produzenten an seinem Produkt ist ein sehr ursprüngliches Eigentumsrecht (will man eine Locke’sche Eigentumstheorie verwenden, sogar das ursprünglichste Eigentumsrecht). Das Recht des Wissenschaftlers an der Vermarktung seines neuen Wissens ist ein Monopolrecht. Sein Eigentum an diesem Wissen kann ihm nicht geraubt werden, denn dass ein anderer sein Wissen verwendet, hindert ihn nicht daran, es ebenfalls zu benutzen. Die Übertragung der Maxime von Produktion und Vermarktung auf wissenschaftliche Kontexte führt also mindestens zu Disanalogien. Diese Disanalogie wird – zumindest so die Befürchtung einiger Patentgegner – stärker, sobald man darauf schaut, wer denn die jeweilige neue Idee ökonomisch verwertet. Die Regel laute leider oft, wessen Angestellter das Wissen produziert habe, der dürfe dieses Wissen auch exklusiv am Markt verwerten. Patente kämen primär Institutionen, nicht aber Erfindern zugute. Während dies im Produktions-falle völlig angemessen sei – immerhin sei moderne Produktion ja nur im Verbundeiner Organisation möglich –, würde die zentrale Position der erfinderischen Einzelperson damit vernachlässigt. Dies ist dahingehend zu relativieren, dass gerade Erfindungen, die in Biopatenten resultieren, vom wissenschaftlichen Umfeld, dem Forscherteam, dessen Laborausstattung etc. abhängen. Einzelforschung, geschweige denn unabhängig finanzierte Einzelforschung, stellt nicht zuletzt durch die immer engere Vernetzung von Forschungsinstitutionen und die Komplexität der Themenfelder mittlerweile die Ausnahme dar. Wer aber dennoch darauf beharren will, hier würden Gratifikationen in die falsche Richtung fließen, wird darauf hinweisen, dass Produktionsanlagen industrieller Produktion die Erzeugnisse weit stärker determinierten als das Forschungsumfeld wissenschaftliche Ergebnisse. Eine eng verwandte, verbreitete Kritik an Biopatenten – und am Patentsystem insgesamt – besteht darin, diese begünstigten ein System ökonomischer Interaktion, welches Akteuren mit bereits hoher Ressourcenausstattung zusätzliche Vorteile verschaffe. Die Kosten eines Patentverfahrens und insbesondere der späteren Verteidigung des Patentes schließe kleinere Mitbewerber auch dann aus, wenn sie erfolgreiche Forschung leisteten. Allerdings muss in Rechnung gestellt werden, dass der Anteil der Patentanmeldungen im Biotechnologiesektor auf Seiten kleinerer Markt-und Forschungsteilnehmer zunimmt, während er bei den Großkonzernen sinkt. Ebenso bemerkenswert ist, dass laut OECD 2004 ziemlich genau die Hälfte (50,1%)der biotechnologischen Forschungs- und Entwicklungsleistung im privatwirtschaftlichen Bereich Deutschlands durch Firmen mit weniger als 50 Mitarbeitern erbracht wurde (OECD 2006, 18).
Inwieweit es sich hier um einen nationalen Sonderfall handelt oder wie weit diese Daten sich über die Zeit und die nationalen Strukturen hinweg verallgemeinern lassen, ist wiederum eine empirische Frage. Die Daten der OECD geben hier-bei teilweise Auskunft und zeigen eine doch relevante Streuung. So beläuft sich der oben genannte Anteil der Forschungs- und Entwicklungsleistung kleiner Firmen in den USA gerade mal auf 9,3%, und der Anteil im deutschen Fall ist international mit Abstand der höchste. Die Anpassungen des Patentsystems durch die Biopatentrichtlinie offenbarten Kommodifizierung als primären Zweck dieses Rechtsbereiches. Dieses Ziel ist damit zu erklären, dass marktförmiger Transfer zunehmend als idealtypisches Instrument zur Bereitstellung von Ergebnissen und Leistungen einzelner Gesellschaftsbereiche für die Gesamtgesellschaft gilt.
Dieser Logik beugen sich gerade auch die nationalen und internationalen forschungspolitischen Maßnahmen. Dass im Hochschulrahmengesetz Technologietransfer als Ziel der Universitäten neben Forschung und Lehre getreten ist, gehört in diesen Kontext ebenso wie das Beharren auf exklusiver Lizenzierung seit dem6. Forschungsrahmenprogramm der EU.
Zudem lassen sich die nationalen Rechtssysteme innerhalb der EU am einfachsten durch eine Marktorientierung harmonisieren. Die je praxisinhärenten Strukturen des Transfers, im Falle der Wissenschaften die Publikation, werden zunehmend durch den Markttransfer ergänzt oder eben ersetzt. Um aber dem Markttransfer zugänglich zu sein, müssen Informationen erst künstlich marktfähig gemacht werden, und hierzu wird das Patentrecht ein-gesetzt. Letztlich werden wissenschaftliche Ergebnisse durch die Patentvergabemarktverkehrsfähig gemacht, um einerseits den Transfer individueller Leistungen in die Gesellschaft zu ermöglichen und andererseits diese Leistungen den Anreiz- und Gratifikationsmechanismen des Marktes zu unterwerfen. Aufgrund der Ressourcenintensität moderner (bio-)wissenschaftlicher Forschung können Patente auf Foschungsergebnisse zugleich als Investitionsschutz betrachtet werden. Damit ist auch die oben diskutierte Gratifikationslenkung zugunsten von Arbeitgebern anstatt von Forschern zu erklären. Es sind die Arbeitgeber, die in Forschung investieren und die durch – in ihren Augen – mangelnden Investitionsschutz daran gehindert würden. Die Konzentration auf Investitionsschutz erklärt ebenfalls, warum eine Strukturgeschaffen wird, deren Vorteile proportional zur Investitionskraft einer Institutionsteigen. Die klassische Rechtfertigung des Patentrechtes, es fördere die Offenbarung von nützlichen Erfindungen, ist für das ohnehin auf Veröffentlichung ausgerichtete Feld der Wissenschaften nicht einschlägig, sie verliert in der modernen Patentrechtsdiskussion auch zunehmend an Bedeutung.
Patent thickets und Anticommons
Die Ausrichtung auf den Technologietransfer und die Marktverwertung von Forschungsergebnissen stößt aufgrund der unterschiedlichen Strukturen von Wissenschaft und Markt auf ein gravierendes Hindernis. Die etablierten Strukturen verursachen eine Form des Marktversagens, die als tragedy of the anticommons bekanntgeworden ist.
Eine Tragödie der Anticommons , in Anlehnung an die tragedy of the commons, besteht dann, wenn Ressourcen deshalb nicht im Rahmen der Möglichkeiten genutzt werden, weil zu viele Akteure ein Recht haben, andere von der Nutzung auszuschließen. Die Idee der Anticommons wurde von Michael Heller 1998 entwickelt. Die tragedy of the commons oder das „Allmendedilemma“ besteht darin, dass gemeinsame Ressourcen durch Übernutzung zerstört werden. Der Grund der Übernutzung liegt in der individuellen Rationalität potentieller Nutzer. Das Tragische an der Situation besteht darin, dass die fragliche Ressource durch die Übernutzung zerstört wird, obwohl es kollektiv rational wäre, sie zu erhalten (HELLER 1998) und zusammen mit Rebecca Eisenberg im selben Jahr auf den biomedizinischen Sektor angewandt (HELLER, EISENBERG, 1998).
Das Tragische an dieser Tragödie besteht nicht darin, dass hier Ressourcen durch Übernutzung vernichtet werden, wie in der Tragödie der
Commons. Das Tragische wird vielmehr darin gesehen, dass Ressourcen nicht in Nutzen umgesetzt werden, sondern brachliegen. In Naturschutz-Bemühungen wird absichtlich eine solche Situation geschaffen, um bestimmte Flächen vor der Erschließung zu bewahren. Wie in einer Souvenir-Aktion werden winzige, für die Nutzung zu kleine Parzellen des schottischen Hochlandes oder des Tropenwaldes an Privatbesitzer verkauft. Diese erhalten somit ein Recht, die Nutzung des jeweiligen Areals einzuschränken. Ähnliches geschieht bei den biomedizinischen Anticommons. Rechte, in diesem Fall meist Patente, die einen Nutzungsausschluss erlauben, werden für kleine Teile einer Gesamtressource verteilt. Nur dass an die Stelle von Land hier beispielsweise Informationen über kleinste DNA-Abschnitte (ESTs oder SNPs) treten.
'EST' bedeutet expressed sequence tag, ein kurzes Fragment von 500 bis 800 Nukleotiden, das in der Forschung zur Gensequenzierung benutzt wird, selbst aber kein vollständiges Gen darstellt. ‚SNP‘ bedeutet single nucleotide polymorphism , die Variation eines einzelnen Nukleotids innerhalb eines DNA-Stranges derselben Spezies.
Typischerweise sind diese zu klein, um eine Nutzung für ein wirtschaftlich verwertbares Produkt zu erlauben. Soll die Gesamtressource – etwa ein vollständig entschlüsseltes Gen oder gar ein Set von Genen – dann einer Nutzung zugeführt werden, vermögen die Patentinhaber, dies zu unterbinden oder die Kosten dafür durch Lizenzforderungen drastisch zu erhöhen. Dasselbe wiederholt sich auf höherer Ebene, wenn zwar vollständige Gene patentiert sind, ein Produkt aber der Verwendung mehrerer solcher Gene bedarf. Ob die Nutzungsbeschränkung nun durch schlichte Blockade oder durch Verteuerung des Produkts aufgrund von Lizenzzahlungen an die jeweiligen Patentinhaber geschieht, ist letztlich zweit-rangig. Besondere Kritik erfuhren in diesem Kontext Patente auf SNPs und ESTs, die nicht nur die Nutzung der Gesamtressource blockieren, sondern auch als Trivialleistung zu bezeichnen sind, während die Entschlüsselung und Funktionsbestimmung der Gesamtressource, in diesem Fall des jeweiligen Gens, alles andere als trivial und damit eigentlich sehr viel schützenswerter ist. Diese Kritik entzündet sich insbesondere an der Arbeit am CCR5-Rezeptor, auf den ein Patent erteilt wurde, nachdem er lediglich durch den eher trivialen Homologie vergleich entdeckt wurde. Spätere Forschungen, die aufgrund aufwändigerer Arbeiten entdeckten, dass über diesen Rezeptor das HI-Virus Zugang zu Zellen erhält, wurden von diesem Patentabhängig (Vgl GODT 2007, 196 ff).
Patent-Dickichte (patent-thickets), liegen dann vor, wenn nicht mehrere Komponenten von zukünftigen Produkten unter exklusiven Schutzrechten stehen, sondern wenn überlappende Patente denselben Bereich abdecken (Vgl. SHAPIRO 2001; SAFRIN 2004, 667).
Der Effekt solcher Dickichte ist ähnlich denjenigen der Anticommons-Struktur. Sie behindern die Entwicklung marktfähiger Produkte, weil potentielle Produzenten gezwungen sind, eine Vielzahl von Rechten und Ansprüchen wortwörtlich in Rechnung zu stellen, falls das überhaupt möglich ist. Die Tragödie der Anticommons und die Patent-Dickichte stellen eine bestimmte Ausformung von Patentsystemen vor Probleme. Obwohl ähnliche Schwierigkeiten sich aufgrund der Komplexität moderner gesellschaftlicher Interaktion bei nahezu allen Schutzrechten einstellen können, wird hierdurch das Schadenspotential dieser Schutzrechte nicht geringer oder weniger bedenklich. Die beiden Formen von Strukturversagen Anticommons und Patent-Dickichte lassen darauf schließen, dass bestimmte Formen der Patentierung dem ökonomischen Zweck der Patentgesetzgebung, Forschung und Entwicklung in gesellschaftlichen Nutzen zu transferieren, nicht dienen. Die großzügige Vergabe von Patenten für Forschungsergebnisse, wie sie insbesondere bei den Patentgesuchen für ESTs und SNPs angestrebt wurde, kann als Bremse für Forschung und Entwicklung an biotechnologischen Produkten wirken.
Gegen diese Diagnose ökonomischer und moralischer Irrationalität im Beispiel der DNA-Sequenzierung wird zuweilen eingewandt, genau wie im Falle der Entwicklung von Medikamenten gelte es, durch die Patentierung die hohen Investitionskosten zu schützen, die durch die Entdeckung von DNA-Sequenzen entstanden seien. Dieses Argument ist aber deshalb nicht einschlägig, weil die Analogie zwischen dem aufwändigen wissenschaftlichen und rechtlichen Verfahren zur Arzneimittelforschung und der sehr unaufwändigen, weitgehend automatisierten und von Rechtsbarrieren freien DNA-Sequenzierung nicht aufrechtzuerhalten ist-
Dies lässt sich bereits an empirischen Daten belegen. So steigen die Kosten für Grundlagenforschung aufgrund der Patentierung und Lizenzierung von früher öffentlich zugänglichen Forschungswerkzeugen (Vgl. GODT 2003, 165).
Aus ethischer Sicht wird dies deshalb problematisch, weil durch die Verteuerung und die Blockade von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten moralisch relevante Formen sozialen Nutzens nicht realisiert werden. Es handelt sich nicht lediglich um Luxusgüter, deren Realisierung verschoben wird, sondern häufig genug um Mittel der Deckung von Grundbedürfnissen. Insbesondere Entwicklungen in der Nahrungsmittelforschung wie in der Medizin sind von Patenten auf DNA-Sequenzen betroffen. Werden aber Mittel zur Deckung von Nahrungsmittelknappheit
Die Deckung des weltweiten Nahrungsmittelbedarfs trägt besondere Erfordernisse an Regelungen geistiger Eigentumsrechte heran, deren Details den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würden. Vgl. hierzu ISTITUT FÜR ÖKOLOGISCHE WIRTSCHAFTSFORSCHUNG 200
oder mögliche Diagnose- und Therapiemöglichkeiten nicht realisiert, weil Patente defensiv genutzt werden, d.h. die Arbeiten anderer Forscher rechtlich unterbunden, aber keine eigenen Entwicklungsbemühungen angestellt werden, so ist dies nicht nur ökonomisch kollektiv irrational, sondern moralisch problematisch. Es ist deshalb moralisch problematisch, weil ohne Aufwand verhinderbares Leiden in Kauf genommen wird. Die Freigabe der Forschung und Entwicklung auf der Basis patentierter Gensequenzen bedeutet für die meisten Patentinhaber keinen relevanten Aufwand. In einem zu konstatierenden ökonomischen Risiko resultierte die Freigabe lediglich, wenn nur einseitig statt allgemein auf die defensive Patentnutzung verzichtet würde. Dieselbe konsequentialistische, moralische Kritik gilt auch für die im Folgenden diskutierten Publikationsverzögerungen und Geheimhaltungen von Forschungsergebnissen und Daten.
Kooperation
Wissenschaftliche Kooperation folgt anderen Gesetzen als die Kooperation in anderen Bereichen, etwa der Kunst oder dem Markt. Die Interaktionsmuster wie auch die Gratifikationsstrukturen sind gerade nicht an Exklusivität orientiert, vielmehr ist wissenschaftlicher Erfolg davon abhängig, dass Ergebnisse und Verfahren geteilt werden. Ein Wissenschaftler, dessen Ergebnisse von anderen Wissenschaftlern in deren Arbeiten verwendet werden, ist erfolgreicher als einer, dessen Ergebnisse nur er selbst verwendet. Darin besteht ein Gegensatz zur Marktgratifikation, die gerade auf die Exklusivität der ökonomischen Verwendung durch nur einen Marktteilnehmer befördert wird.
Ein früher, aber noch immer prominenter Versuch, die Normen wissenschaftlicher For-schung zu erfassen, findet sich unter der Formel CUDOS (Communalism, Universalism,Disinterestedness, Originality, Scepticism bei MERTON 1973.
Dementsprechend ist der Ausschluss anderer von der Nutzung der eigenen Ergebnisse, d.h. Geheimhaltung oder die Errichtung rechtlicher Barrieren, ursprünglich kein Teil wissenschaftlicher Interaktion, sondern wird von außen an diese herangetragen. Die Interaktionsmuster der jeweiligen Wissenschaft werden hierdurch fundamental verändert. Ein Indikator für diese Veränderung ist die Verbreitung und Auswirkung sogenannter Non-disclosure-Vereinbarungen, die Forscher nicht nur mit ihren Arbeitgebern, sondern zuweilen auch mit Organisationen abschließen, welche Forschung auf die eine oder andere Weise unterstützen oder zur Unterstützung heranziehen. Beraterverträge, die kostenfreie Lieferung von Labormaterialien oder Laborgeräten, Auftragsforschung und zahlreiche andere Interaktionen zwischen Forschern und meistprivatwirtschaftlichen Organisationen können zum Anlass für Non-disclosure-Vereinbarungen oder für Vereinbarungen über Präpublikationseinsicht genommen werden. Die daraus teilweise resultierende Nicht-Veröffentlichung oder die nur teilweise Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse widerspricht jedoch den Grundstrukturen wissenschaftlichen Arbeitens und wissenschaftlicher Gratifikation (Vgl. HOTZ 2002.).
Obwohl Forscher, die bestimmte Ergebnisse nur teilweise oder auch gar nicht veröffentlichen, daraus ökonomischen Gewinn davontragen können, entgeht ihnen sicher wissenschaftliches Ansehen. Ob der Transfer durch exklusive Vermarktung der Ergebnisse für die Gesellschaft einen höheren Nutzen darstellt als die all-gemeine Verfügbarkeit und damit nicht-exklusive Vermarktbarkeit der Ergebnisse, ist mindestens umstritten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich hierbei nicht um eine Ausbeutung oder Okkupation akademischer Forschung. Vielmehr prallen Strukturen unterschiedlicher Handlungskontexte und Praktiken aufeinander. Die Fremdheit dieser Handlungskontexte lässt sich exemplarisch an der Reaktion vieler Forscher auf Patente an ihren Forschungsgegenständen ablesen, oder besser am Ausbleiben einer Reaktion. Zahlreiche Forscher agieren, als gälten Patenteinschränkungen für ihre Arbeit nicht. Dieses Vorgehen wird in Europa lediglich für Forschung an patentierten Sachen durch das Forschungsprivileg geschützt, in den USA gilt eine solche Ausnahme nur eingeschränkt. Dennoch scheint es trotz einschlägiger Gerichtsurteile – zu denken ist besonders an
Madey vs. Duke University so zu sein, dass akademische Forscher allerorten die Einschränkungen ihrer Arbeit durch das Patentrecht nicht wahrnehmen oder schlicht ignorieren.
Zum Forscherprivileg vgl. oben ‚Gegenwärtige Grenzen und nationale Unterschiede der Patentvergabe‘. Die geringe Reaktion auf Madey vs. Duke University diskutiert Eisenberg in Anschluss an WALSH, CHO,COHEN 2005 in EISENBERG 2006. Eisenberg kann dieses Phänomen damit erklären, dass es sich für Patentinhaber zumeist nicht lohnt, akademische Forschung zu unterbinden, während Prozesse gegen private bzw. produktnähere Forschung durchaus finanziell relevant sind. Daher werden kaum Patentklagen gegenöffentliche Forschungseinrichtungen angestrebt, was wiederum dazu führt, dass dort das Risiko solcher Klagen als gering erachtet wird
Typischerweise werden Patente in der wissenschaftlichen Kooperation erst dann wahrgenommen, wenn ihretwegen Daten und Ergebnisse anderer Forscher nicht verfügbar sind. Allerdings resultiert genau dies aus der Patentierung von Ergebnissen der Grundlagenforschung. Daten wie beispielsweise DNA-Sequenzen können aufgrund ihrer potentiellen Patentierbarkeit und damit ökonomischen Verwertbarkeit dem wissenschaftlichen Austausch entzogen werden. Forschungsergebnisse und Daten gilt es dieser Motivationsstruktur zufolge, erst in exklusive, private Verfügung zu überführen und durch rechtliche Barrieren vor der Nutzung durch andere zusichern, bevor sie der wissenschaftlichen Öffentlichkeit unterbreitet werden. Selbstnach dieser Absicherung sind etwaige Grundlagen der jeweiligen Ergebnisse, auf die keine Patente erlangt werden können, schützenserte und geheimhaltenswerte Ressourcen, weil sie konkurrierenden Forschern ermöglichen, selbst weiterführende Ergebnisse zu erzielen. Dafür, dass Daten immer häufiger geheim gehalten werden, gibt es zahlreiche Belege.
Vgl. CAMPBELL et al. 2000; CAMPBELL et al. 2002; EISENBERG 2001; WALSH, CHO, COHEN2005
Die Interpretation liegt nahe, dass dieses Verhalten insbesondere aufgrund der ökonomischen Verwertbarkeit unter anderem durch Patentierung verursacht wird. Empirische Untersuchungen lassen diesen Schluss zu.
Gerade die immer wieder angemahnte Vernetzung von Forschungseinrichtungen wird erschwert, wenn die Weitergabe von Ergebnissen oder Daten (s.u.) ein ökonomisches Risiko darstellt oder gar durch rechtliche Schranken limitiert ist. Forschungskooperation funktioniert normalerweise nur, wenn die Beteiligten Ergebnisse und Daten austauschen können. Jede neue Kooperation bedeutet damit, dass mehr Akteure Zugang zu vermeintlich wertvollen oder geschützten Daten erhalten. Damit steigt die Hürde für den Zugang zu Kooperationen gerade für jene Institutionen, die in dem jeweiligen Gebiet zwar möglicherweise Potential, aber keine entsprechenden Ergebnisse im Austausch zu bieten haben. Nicht ungewöhnlich für marktstrukturierte Bereiche werden damit Ressourcen dorthin gelenkt, wo bereits Konzentrationen derselben vorhanden sind.
Geheimhaltung und Verzögerung
Während wissenschaftlicher Erfolg primär daran abzusehen ist, ob Ergebnisse von anderen Personen verwendet werden, gibt es im wissenschaftlichen Arbeitsfeld dennoch Anlass, anderen Forschern Informationen vorzuenthalten. Gemeint sind Daten, auf deren Basis Forschungsergebnisse produziert werden. Die offene Weitergabe von Daten kann auch gemäß der Gratifikationsstrukturen der Wissenschaft nachteilig sein, wenn andere Forscher auf deren Basis schneller Ergebnisse zu erzielen vermögen. Obwohl gemäß wissenschaftlichem Ideal die Gewinnung neuen Wissens eine gemeinschaftliche Aufgabe ist, bleibt es doch relevant, wer diese Ergebnisse erzielt, d.h. wissenschaftliches Ansehen gewinnt. Durch die Bereitstellung von Daten ist normalerweise nur wenig wissenschaftlicher Ruhm zu erzielen, von Ausnahmefällen wie dem Human Genome Project einmal abgesehen. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass an die Seite der wissenschafts-internen Motivation, Daten zurückzuhalten, die von Forschern durchaus eingestanden wird, ökonomische Gründe getreten sind, die dieses Verhalten begünstigen.
Wie Walsh und Kollegen zeigen, lässt sich das Zurückhalten von Daten nicht nur auf wissenschaftliche Konkurrenz, sondern auch auf den wirtschaftlichen Wert der Forschungsdaten (gemessen in Zahl der Datenanfragen pro Dollar Forschungsfinanzierung) und die Beteiligung an wirtschaftlicher Verwertung von Forschung zurückführen.
Obwohl allein schon die wissenschaftsinternen Gründe – die sich in der Zuteilung von Mitteln nach wissenschaftlichem Output ebenfalls teilweise ökonomisch auswirken – für die Forschung problematisch sind, wird eine Verstärkung des Trends, Daten zurückzuhalten, durch ökonomische Interessen weitere Forschungshindernisse aufwerfen. Dieselbe Untersuchung kommt denn auch zu dem Schluss, dass zahlreiche Forschungsprojekte durch diese Verhaltensweise verzögert wurden oder gar abgebrochen werden mussten. Das Zurückhalten von Daten ist aber nicht nur eine Form der Kooperationsverweigerung, die die Forschung anderer behindern kann. Darüber hinaus verunmöglicht sie oft auch die Reproduktion veröffentlichter Ergebnisse. Insofern wird ein zentrales Kriterium zur Bewertung wissenschaftlicher Forschung, die Reproduzierbarkeit von Ergebnissen, in Frage gestellt. Die Barrieren im Austausch von Ergebnissen und Daten mögen in vielen Fällen lediglich eine Verzögerung von Forschungstätigkeit mit sich bringen, die zwar möglicherweise aus wissenschaftlicher Sicht bedauerlich, aber oft nicht weiter ethisch problematisch ist. Diese Ansicht täuscht aber darüber hinweg, dass in einigen Fällen das Zurückhalten von Daten und Ergebnissen gravierende Folgen haben kann. Gerade im Bereich der biomedizinischen, insbesondere der genetischen Forschung ist das Zurückhalten von Datenhäufig anzutreffen, und gerade hier können davon gesundheitliche Interessen zahl-loser Betroffener berührt sein. Das Zurückhalten beispielsweise der Daten über die genetische Zusammensetzung von krankheitserregenden Bakterien wie
Staphylococcus aureus oder Helicobacter pylori, die so tatsächlich vorgekommen sind, kann durchaus als ethisch problematisch angesehen werden, weil damit auch die Erforschung von Behandlungsmöglichkeiten verzögert oder verhindert wird (Vgl. HOTZ 2002, 183.).
Dasselbe kann für Daten über potentiell krankheitsrelevante Gene gelten. Daneben gilt es zu beachten, dass die Erhebung von Daten – sowohl in den Biowissenschaften wie auch in anderen Disziplinen – oft hohe Kosten verursacht.
Die mehrfache Erhebung derselben Daten, gerade wenn sie mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, ist kollektiv hochgradig irrational. Dies gilt besonders dann, wenn die Datenermittlung nicht unendlich oft nacheinander möglich ist. Dies ist zwar in der Genetik nicht der Fall, in den Biowissenschaften durchaus aber bei der Bioprospektion – der Sammlung genetischen Materials in der Natur –, in anderen Wissenschaften besonders bei der Datenerhebung durch Befragungen. Die potentiellen Teilnehmer zeigen nach wenigen Versuchen eine gewisse Umfragemüdigkeit, was nicht nur die Verfügbarkeit, sondern auch die Qualität der Daten beeinträchtigen kann. Wo Datenerhebung mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, gibt es keine Rechtfertigung dafür, diese nicht auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies wirft aber besonders dort Probleme auf, wo Daten aus öffentlich finanzierten Erhebungen in Auftragsforschung oder in anderweitig restringierte Projekte ein-gehen. Indem sie einen neuen Anreiz zur Geheimhaltung von Daten und Ergebnissen liefern, befördern exklusive Rechte auf Wissen nicht nur eine ökonomisch nicht optimale Nutzung vorhandenen Wissens und einen wissenschaftshinderlichen Umgang mit Daten und anderen Ergebnissen. Sie begünstigen gerade im Falle der Biopatente eine moralisch fragwürdige Verzögerung oder gar Vereitlung der Entwicklung von Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.
Grundlagenforschung und Reach-through-Klauseln
Lange Zeit galt Grundlagenforschung als marktfern bzw. nicht ökonomisch verwertbar. Dass dies nur in einem zeitlich sehr engen Blickwinkel korrekt ist, ergibt sich schlicht daraus, dass die Grundlagenforschung die Bedingung aller angewandten Forschung ist. Insofern sind Zahlen darüber, welchen Einfluss gerade akademische Grundlagenforschung auf industrielle Produkterstellung hat, mit Vorsicht zu genießen (COHEN et al. 1998).
Spätestens seit dem Bayh-Dole-Act in den USA, entsprechenden Reformen in europäischen Staaten und der damit einhergehenden Motivation auch öffentlicher Forschung, ihre Ergebnisse kommerziell zu nutzen, ist die vermeintliche Marktferne von Ergebnissen der Grundlagenforschung partiell durchbrochen (EUROPEAN COMMISSION 2004).
PL 96-517, Amendments to the Patent and Trademark Act of 1980, codified as amended at 35 U.S.C., Sect. 200-212. Der Bayh-Dole-Act verleiht staatlichen Universitäten das Recht, Patente für neue Erfindungen selbst anzumelden und zu verwerten. Sie können seitdem kommerzielle Lizenzverträge eingehen und Forschungsergebnisse aus öffentlich finanzierter Forschung eigenständig vermarkten. Zuvor fielen diese Patente direkt an den Staat. Zum Einfluss des Bayh-Dole-Act auf die ökonomische Nutzung von technologischen Neuheiten vgl. FABRIZIO 2007. Demnach hat die Patentierung durch Universitäten und deren Spinoffs den Technologietransfer eher verlangsamt als beschleunigt. Zur Geschichte der Patentierung von biologischer Grundlagenforschung vgl. SMITHHUGHES 2001.
Vgl. COHEN et al. 1998, 186 f. Demnach ist der Finanzanteil für Grundlagenforschung seit den 1970er Jahren insgesamt gesunken und die Industrienähe von Forschungseinrichtungen korreliert negativ mit deren Investition in Grundlagenforschung.
‚Upstream‘ und ‚downstream‘ bezeichnen den Ort eines Produktes im Forschungs- und Entwicklungsprozess. Produkte der Grundlagenforschung, research tools, und Rohstoffe markieren den ‚upstream‘-Bereich, Endnutzerprodukte das‚ downstream‘-Ende der Skala
Peer reviews und Antragstexte
mögen harmlos erscheinen, sie exemplifizieren jedoch die zuvor festgestellten Konflikte wissenschaftlicher und marktförmiger Kooperationsmuster. Insgesamt zeichnet sich ab, wie etablierte und effektive Verfahren wissenschaftlicher Kooperation, die eigentlich mit den rechtlichen Regelungen und ökonomischen Zielen des Patentsystems in keinem Zusammenhang stehen, dennoch von diesen verändert und manchmal ausgehöhlt werden. Diese Tendenz fordert eine deontologische Kritik heraus, der zufolge die Wissenschaftspraxis nicht nur als instrumentell bewahrenswert zu gelten hat.
Fazit
Der Wissenschaftspraxis kommt sicherlich nicht wie der Selbstzweckhaftigkeit vernünftiger Wesen primärer moralischer Status zu. Sie ist zwischen Trägern vonabsolutem moralischem Status und Gegenständen, denen ein Preis zuzuordnen ist,zu verorten. Der kantischen Differenzierung des Wertstatus als entweder Würde oder Preis folgend, wäre der sekundäre moralische Status immer nur Preis, egal ob Affektions- oder Marktpreis.
Es ist aber durchaus damit zu rechnen, dass es einen moralischen Status gibt, der weder Würde noch Preis ist (Vgl. KANT 1785, AA 434 f). Exemplarisch dafür kann der Wert kultureller Grundlagen einer Gesellschaft gelten, wie die Wissenschaftspraxis eine ist. Diese sind weder durch ein Äquivalent austauschbar, haben in diesem Sinne also keinen Preis, noch sind sie Zweck an sich selbst, haben in diesem Sinne also keine Würde. Dieser deontologischen Kritiklinie schließt sich eine konsequentialistische an. Die Konsequenzen der genannten Veränderungen sind geeignet aufzuzeigen, dass die Koordinationsmuster des Patentsystems häufig die damit verfolgten sozialökonomischen Ziele verfehlen und zudem effektive Steuerungsmechanismen anderer Gesellschaftsbereiche unterminieren. Sie produzieren eigene Ineffizienzen, die, wie oben gezeigt, besonders in der Entwicklung von Nahrungsmitteln und Medikamenten moralisch bedenkliche Nutzenblockaden bedeuten. Auch aus der Perspektive der politischen Philosophie muss ein Mangel des veränderten Patentsystems und der Prozesse der Veränderung konstatiert werden. Die Praxis und die Regeln der Patentvergabe sind den Mechanismen der betroffenen Gesellschaftsbereiche nicht nur fremd, sie sind zudem oft ohne unmittelbare demokratische Legitimität aufgrund von Verwaltungsvorschriften erlassen worden. Damit sind sie nicht nur jenseits des fachjuristischen Diskurses, sondern auch ohne Beteiligung zentraler Interessengruppen wie Wissenschaftlern, indigenen Gruppen, Staaten mit anderen Rechtssystemen für geistiges Eigentum etc. zustande gekommen.
Literatur
ARROW, K.J. (1962): Economic welfare and the allocation of resources for invention, in:NATIONAL BUREAU OF ECONOMIC
RESEARCH (ed.): The Rate and Direction of Inventive Activity, Princeton, 609-626.
BERKENFELD, E. (1949):Das älteste Patentgesetz der Welt, in: Gewerblicher Rechts-schutz und Urheberrecht 5, 139-142.
BROM,F. (2003): The Expressive-Communicative Function of Bio-Patent Legislation: the Need for Further Public Debate
, in: BAUMGARTNER, C., MIETH, D. (Hg.): Patente am Leben, Paderborn, 117-128.
CAMPBELL,E.G.,CLARRIDGE,B.R.,GOKHALE, M.,BIRENBAUM ,L.,HILGARTNER, S.,HOLTZMAN, N.A.,BLUMENTHAL, D.(2002): Data withholding in academic genetics: evidence from a national survey, in Journal of the American Medical Association 287, 473-480.